Mit ML Probleme lösen

Das Lösen von “Input → Output”-Problemen mit ML erfordert drei Hauptschritte:

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1. Identifiziere ein Problem

Der erste (und wohl wichtigste) Schritt besteht darin, zu identifizieren, wo maschinelles Lernen überhaupt eingesetzt werden kann (und sollte).

ML Projekt Checkliste

Motivation

  • Welches Problem möchtest du lösen?
    Machine Learning kann dir in verschiedenen Situationen helfen, z.B. indem es Erkenntnisse aus großen Mengen (möglicherweise unstrukturierter) Daten generiert, Entscheidungsfindungs- und Planungsprozesse durch Vorhersagen über zukünftige Ereignisse verbessert, oder mühsame Aufgaben automatisiert, die sonst menschliche Experten erfordern.
    Wo läuft etwas ineffizient, was durch eine effektivere Nutzung von Daten verbessert werden könnte? Du könntest zum Beispiel nach Möglichkeiten suchen, verschwendete Ressourcen/Zeit/Kosten zu reduzieren oder den Umsatz/die Kundenzufriedenheit/usw. zu steigern.
    Um systematisch Probleme oder Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen, kann es auch helfen, ein Prozessdiagramm oder eine Customer Journey Map zu erstellen.

  • Auf welche Art und Weise würde dies Wert für eure Organisation generieren?
    Wie könnte eure Organisation damit Geld verdienen oder Kosten senken?

    • Könnte dies einen internen Prozess verbessern (z.B. könnte ein Prozess mit den Erkenntnissen aus einer Analyse effizienter gestaltet werden oder eine langwierige Aufgabe, die sonst einen menschlichen Arbeiter erfordern würde, kann mithilfe eines ML-Modells automatisiert werden)?

    • Könnte das ML-Modell als neues Feature in ein bestehendes Produkt integriert werden und dadurch z.B. dieses Produkt für Kunden attraktiver machen?

    • Könnte die ML-Lösung als völlig neues Produkt verkauft werden, z.B. als Software-as-a-Service (SaaS)-Lösung angeboten werden?

    Bitte beachte, dass die letztendliche Verwendung der ML-Lösung auch eine strategische Entscheidung sein kann, die für jede Organisation unterschiedlich sein kann. Beispielsweise könnte eine ML-Lösung, die Kratzer auf produzierten Produkten erkennt, von einem Unternehmen verwendet werden, um ihren internen Produktionsprozess zu verbessern, während ein anderes Unternehmen, das die Maschinen herstellt, die die Produkte herstellen, dies als neues Feature in seine Maschinen integrieren könnte, und ein drittes Unternehmen bietet dies möglicherweise als SaaS-Lösung an, die mit verschiedenen Produktionslinien kompatibel ist.

  • Wann hast du dein Ziel erreicht?
    Wie würde Erfolg aussehen, d.h. was ist deine Definition von ‘fertig’? Kannst du den Fortschritt mit einem KPI quantifizieren?
    Wie ist der Status quo, d.h. wie weit bist du derzeit von deinem Ziel entfernt?

  • Welchen Impact hätte dieses Projekt?
    Überlege dir den Impact im Hinblick auf

    • Größenordnung: Kleine Verbesserung oder Revolution? Würde die Lösung einen strategischen Vorteil schaffen?

    • Skalierung: Wie oft wird es verwendet? Wie viele Benutzer/Kunden/Mitarbeiter werden davon profitieren?

      Zum Beispiel:

      • Kleine Prozessoptimierung, aber da dieser Prozess täglich in der gesamten Organisation verwendet wird, spart dies unzählige Stunden

      • Neue Funktion, die ein Produkt revolutioniert und euch von der Konkurrenz abhebt, aber der Markt dafür ist winzig

    • Hätte dies irgendwelche wertvollen Nebenwirkungen? Was wird anders sein? Gibt es zusätzliche Möglichkeiten, die sich daraus ergeben könnten? Können Synergien geschaffen werden zwischen Abteilungen, die mit ähnlichen Daten arbeiten?

Lösungsskizze

  • Was sind die Deliverables?
    Besteht die Lösung aus einer Software, die irgendwo eingesetzt wird, um kontinuierlich Vorhersagen für neue Datenpunkte zu generieren, oder interessierst du dich für die Erkenntnisse, die aus einer einmaligen Analyse gewonnen werden?

  • Gibt es eine einfachere Lösung ohne ML?
    Verwende ML, um unbekannte, komplexe Regeln aus Daten zu lernen

  • Kann das Problem mit einem existierenden ML-Algorithmus gelöst werden?
    Frage eine ML-Expertin, ob ein ähnliches Problem bereits mit einem bewährten Algorithmus gelöst wurde. Anstatt jahrelang zu forschen, um einen neuartigen Algorithmus zu finden, könnte man das Input-Output-Problem vielleicht auch in einfachere Teilprobleme mit bekannten Lösungen zerlegen.

  • Wie sehen die Input Daten aus?

    • Was ist ein Datenpunkt / Beobachtung?

    • Welche Art von Inputs bekommt das ML Modell (z.B. Bild / Text / Sensormessungen / etc.)?

  • Wie wird im Falle einer Softwarelösung das ML-Modell in das bestehende Setup integriert?

    • Von welchem System stammen die Inputs für das ML-Modell? Was passiert mit den Outputs des ML-Modells?

    • Wie wird das ML-Modell deployed (z.B. Cloud oder Edge-Gerät – siehe Schritt 3 unten)? Braucht man dafür spezielle Hardware?

    • Was sind die Pläne im Hinblick auf Pipelines für zukünftige Datenerfassung, Modellüberwachung und automatisiertes Nachtrainieren?

  • Sollte man die Lösung selbst bauen oder könnte man sie auch einkaufen?
    Erfordert die Lösung spezifisches Domänenwissen, das nur in eurer Organisation verfügbar ist, z.B. weil du Daten analysierst, die von euren eigenen speziellen Prozessen/Maschinen generiert werden, und/oder wird die Lösung ein wichtiger Bestandteil eures Geschäfts sein, z.B. ein neues Feature, das euer Produkt attraktiver macht?
    Oder ist dies ein allgemeines (aber komplexes) Problem, für das es bereits eine Lösung gibt (z.B. als Software-as-a-Service (SaaS)-Produkt), die ihr von der Stange kaufen könntet? Beispielsweise ist das Extrahieren der relevanten Informationen aus gescannten Rechnungen zur Automatisierung von Buchhaltungsprozessen eine relativ komplexe Aufgabe, für die es bereits viele gute Lösungen gibt. Wenn du nicht gerade in einem Unternehmen arbeitest, das Buchhaltungssoftware entwickelt, und ihr plant, eine bessere Alternative zu diesen vorhandenen Lösungen zu verkaufen, ist es wahrscheinlich nicht sinnvoll, dies selbst zu implementieren.

    Einige allgemeine Punkte, die du bei der Entscheidung, ob du eine ML-Lösung kaufen oder selbst implementieren solltest, berücksichtigen solltest:

    • Wie aufwändig wäre die Vorverarbeitung eurer Daten um die eingekaufte ML-Lösung zu verwenden?

    • Wie kompliziert wäre es, die Outputs der eingekauften ML-Lösung in euer System zu integrieren? Macht diese Lösung genau das, was ihr braucht, oder wären zusätzliche Nachbearbeitungsschritte erforderlich?

    • Wie zuverlässig ist die eingekaufte ML-Lösung? Gibt es Benchmarks und/oder könnt ihr sie mit einigen gängigen Beispielen und Randfällen selbst testen?

    • Wie schwierig wäre es, die ML-Lösung selbst zu implementieren? Welche Open-Source-Bibliotheken gibt es, die eine solche Aufgabe lösen? Verfügt eure Organisation über das nötige ML-Talent oder müsstet ihr z.B. Freelancer einstellen?

    • Kann die eingekaufte ML-Lösung intern deployed werden oder läuft sie auf einem externen Server und würde dies Datenschutzprobleme mit sich bringen?

    • Wie hoch sind die laufenden Lizenzgebühren und was ist in der Wartung enthalten (z.B. wie oft werden die Modelle nachtrainiert)?

    Sofern die ML-Lösung kein integraler Bestandteil eures Geschäftsmodells sein wird, wird es am Ende wahrscheinlich darauf hinauslaufen, die internen Kosten für die Entwicklung, Implementierung, den Betrieb und die Wartung des Systems mit den Kosten für die Integration der Standardlösung in euren bestehenden Arbeitsablauf (einschließlich der erforderlichen Datenvorverarbeitung) und den laufenden Lizenzgebühren zu vergleichen.

Herausforderungen & Risiken

  • Gibt es genügend hochwertige Daten?
    ML-Modelle brauchen die richtigen Inputs und lernen am besten aus eindeutigen Labels.

    • Wie viele Daten wurden bereits gesammelt (einschließlich seltener Ereignisse)? Sind dies die richtigen Daten oder werden z.B. zusätzliche Labels benötigt?
      → Frage einen Fachexperten, ob er der Meinung ist, dass alle relevanten Inputdaten verfügbar sind, um den gewünschten Output zu generieren. Dies ist normalerweise bei unstrukturierten Daten wie Bildern leicht zu bestimmen: wenn ein Mensch das Objekt im Bild erkennen kann, sollte ML das auch können. Schwieriger wird dies bei strukturierten Daten, wie Tabellen mit hunderten von Spalten mit Sensormessungen.

    • Wie schwierig ist es, Zugang zu allen Daten zu bekommen und sie an einem Ort übersichtlich zusammenzuführen? Wer könnte dabei helfen, die Dateninfrastruktur einzurichten/zu verbessern?

    • Wie viel Vorverarbeitung ist notwendig (z.B. Feature Engineering, also die Berechnung neuer Variablen aus den vorhandenen Messungen)? Was könnten nächste Schritte sein, um die Datenqualität und -quantität zu verbessern?

  • Was würde im schlimmsten Fall passieren, wenn das Modell falsch liegt?
    Das ML-System wird (wie Menschen auch) Fehler machen. Dies gilt insbesondere, da sich die Inputs wahrscheinlich im Laufe der Zeit ändern werden und die Nutzer vielleicht sogar versuchen könnten, das System absichtlich zu täuschen (z.B. entwickeln Spammer raffiniertere Nachrichten, wenn ihre ursprünglichen Nachrichten vom Spamfilter abgefangen werden).
    Was wäre das Worst-Case-Szenario und wie viel Risiko bist du bereit einzugehen?
    Gibt es eine Möglichkeit, das System erst zu überwachen und trotzdem einen Mehrwert zu generieren (z.B. mit einer “Human in the Loop” Lösung), statt vom ersten Tag an voll auf ML zu setzen?

  • Was könnte sonst noch schief gehen (z.B. rechtliche Fragen/ethische Bedenken)?
    Gibt es Bedenken in Bezug auf den Datenschutz? Wie sieht es mit der Rechenschaftspflicht aus, d.h. müssen die Entscheidungen des ML-Modells transparent sein, z.B. wenn jemandem aufgrund einer algorithmisch generierten Kreditwürdigkeit ein Kredit verweigert wird? Warum könnten die Nutzer von der Lösung frustriert sein?

Für weitere Informationen lies diesen Blog Artikel.

2. Entwickle eine Lösung

Sobald ein geeignetes “Input → Output”-Problem identifiziert wurde, müssen historische Daten gesammelt und der richtige ML-Algorithmus ausgewählt und angewendet werden, um eine funktionierende Lösung zu erhalten. Darum geht es in den nächsten Kapiteln.

Um ein konkretes Problem mit ML zu lösen, gehen wir in der Regel wie folgt vor:

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Wir beginnen immer mit einer Fragestellung oder einem Problem, das mit ML gelöst werden soll. Und um es zu lösen, benötigen wir Daten, die in der Regel bereinigt werden müssen, bevor man mit ihnen arbeiten kann (z.B. verschiedene Excel-Dateien zusammenführen, fehlende Werte korrigieren usw.). Dann ist es Zeit für eine explorative Analyse, um besser zu verstehen, womit wir es zu tun haben. Abhängig von der Art der Daten ist es evtl. erforderlich, geeignete “Features” (Charakteristiken oder Kennzahlen) zu extrahieren oder zusätzlich zu berechnen, wobei Domänenwissen sehr hilfreich ist. Alle diese Schritte sind unter “Preprocessing” (Vorverarbeitung) gruppiert (roter Kasten) und die Arbeitsschritte sind nicht linear angeordnet, da wir oft zwischen diesen Schritten hin- und herspringen. Beispielsweise stellen wir bei der Visualisierung des Datensatzes fest, dass es Ausreißer in den Daten gibt, die wir entfernen müssen, oder nachdem neue Features berechnet wurden, gehen wir zurück und visualisieren den Datensatz erneut. Als nächstes kommt der ML-Teil (grüner Kasten): Normalerweise fängt man mit einem einfachen Modell an, evaluiert es, probiert ein komplexeres Modell aus, experimentiert mit verschiedenen Hyperparametern, …​ und stellt dann fest, dass man den ML-Werkzeugkasten durch hat, aber kein Modell eine zufriedenstellende Performance zeigt. An diesem Punkt muss man einen Schritt zurück gehen und entweder aussagekräftigere Features berechnen oder, wenn das auch nicht hilft, mehr und/oder bessere Daten sammeln (z.B. mehr Proben, Daten von zusätzlichen Sensoren, eindeutigere Labels usw.). Wenn wir uns schließlich auf die Vorhersagen des Modells verlassen können, gibt es zwei Wege, die man gehen kann: Entweder die Data Science Route, bei der die gewonnen Erkenntnisse an Stakeholder übermittelt werden (was oft zu weiteren Fragen führt). Oder die ML-Software Route, in welcher das endgültige Modell in den Prozess eingebunden wird. Aber Achtung: Die Performance des Modells muss kontinuierlich überwacht werden und es müssen auch in Zukunft weiterhin neue Daten gesammelt werden, damit das Modell immer wieder nachtrainiert werden kann, vor allem falls es Änderungen im Prozess gibt. Insgesamt ist die Arbeit an einem Machine Learning Projekt ein sehr iterativer Prozess.

Da viele Unternehmen keine standardisierte Dateninfrastruktur besitzen, ist die traurige Wahrheit leider, dass eine Data Scientistin normalerweise (mindestens) etwa 90% ihrer Zeit damit verbringt, die Daten zu sammeln, zu bereinigen und anderweitig vorzuverarbeiten, um sie in ein Format zu bringen worauf die ML-Algorithmen angewendet werden können:

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Auch wenn es manchmal frustrierend ist, ist die Zeit, die man mit der Bereinigung und Vorverarbeitung der Daten verbringt, nie verschwendet, da die ML-Algorithmen nur mit einer soliden Datengrundlage brauchbare Ergebnisse erzielen können.

3. Setze die Lösung ein

Wenn die prototypische Lösung implementiert ist und das geforderte Performance-Level erfüllt, muss diese Lösung dann “deployed” werden, d.h. produktiv in den allgemeinen Workflow und die Infrastruktur integriert werden, damit sie in der Praxis tatsächlich zur Verbesserung des jeweiligen Prozesses eingesetzt werden kann (als Software, die kontinuierlich Vorhersagen für neue Datenpunkte macht). Es gibt im Allgemeinen zwei Strategien, um dies zu tun:

  1. Das ML-Modell läuft auf einem “Edge-Gerät”, d.h. auf jedem einzelnen Gerät (z.B. Smartphone), das Inputdaten erzeugt und die Ergebnisse des Modells im nachfolgenden Prozessschritt verwendet. Dies ist oft die beste Strategie, wenn Ergebnisse in Echtzeit berechnet werden müssen und/oder eine durchgehende Internetverbindung nicht gewährleistet ist, wie z.B. bei selbstfahrenden Autos. Der Nachteil dieser Strategie ist jedoch, dass je nach Art des ML-Modells vergleichsweise teure Rechenressourcen in jedes Gerät eingebaut werden müssen, z.B. GPUs für neuronale Netze.

  2. Das ML-Modell läuft in der “Cloud”, d.h. auf einem zentralen Server, z.B. in Form einer Webanwendung, die Daten einzelner Nutzer entgegennimmt, verarbeitet und die Ergebnisse zurücksendet. Dies ist oft die effizientere Lösung, wenn für den Anwendungsfall eine Antwort innerhalb weniger Sekunden ausreicht. Die Verarbeitung personenbezogener Daten in der “Cloud” kann jedoch Datenschutzbedenken mit sich bringen. Einer der Hauptvorteile dieser Lösung besteht darin, dass man das ML-Modell einfacher aktualisieren kann, sobald mehr historische Daten verfügbar werden oder wenn sich der Prozess ändert und das Modell nun mit leicht anderen Eingaben umgehen muss (worauf wir in späteren Kapiteln noch ausführlicher eingehen).

→ Da diese Entscheidungen stark vom spezifischen Anwendungsfall abhängen, sprengen sie den Rahmen dieses Buches. Suche online nach “MLOps” oder ließ das Buch Designing Machine Learning Systems, um mehr über diese Themen zu erfahren und beauftrage eine:n Machine Learning oder Data Engineer, um die erforderliche Infrastruktur im Unternehmen einzurichten.